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Orgasmusprobleme - Oder die unterschätzte Klitoris

Klitoris und Orgasmus
Foto von Nataliya Vaitkevich von Pexels

Eigentlich ist zum Thema Orgasmus alles gesagt. In jeder Zeitschrift geben Journalistinnen eine Anleitung, feministische Autorinnen loben die Freiheit, Orgasmen zu bekommen, wie es beliebt - und dennoch scheint es immer noch viele Frauen (und Männer) zu geben, die sich über die Orgasmusprobleme von Frauen grämen.

 

Selbst die Zeitschrift für Sexualwissenschaft hat in ihrer letzten Ausgabe das Thema "Gender-Orgasm-Gap" beschrieben - also die Tatsache, dass Frauen deutlich seltener beim Sex zum Orgasmus kommen als Männer.

 

Auch ich habe dieses Jahr schon einen Beitrag dazu verfasst, in dem ich ein paar Tipps für die Ladies formuliert habe.

 

Der jetzige Beitrag nimmt eine andere Perspektive ein.

 


Was mich wirklich nervt/wütend macht/ermüdet...

Letzt habe ich auf Instagram eine Story von quarks.de gelesen, die mich wirklich super genervt hat. Normalerweise liebe ich diesen Kanal. Doch wenn es um Sex-Themen geht, fallen sie mir häufiger nicht sonderlich positiv auf. So auf dieses Mal. Denn hier wurde darauf angespielt, dass Kaninchen beim Sex immer einen Orgasmus haben, sonst wird der Eisprung nicht ausgelöst. Danach wurde gefragt, welchen Sinn der weibliche Orgasmus hat und wieso wir Menschenfrauen so wenige Orgasmen beim Sex haben.

 

Ich dachte mir: "Wirklich jetzt?"

 

Das Geheimnis liegt vielleicht an einer sehr einseitigen Vorstellung von Sex

Klar finde ich diese wissenschaftlichen Überlegungen auch super spannend. Soweit alles fein. Im gleichen Atemzug aber so zu tun, als hätten Frauen per se ein echtes Problem, Orgasmen zu bekommen, finde ich unfassbar schade. Denn ja, es ist so, dass es immer noch viele Frauen gibt, die beim Sex MIT einem MANN oft nicht zum Höhepunkt kommen. Doch daraus zu schließen, dass Frauen prinzipiell schwerer zum Orgasmus kommen, finde ich grob fahrlässig.

 

Nach fast 9 Jahren Sex-Coaching habe ich da eine ziemlich andere Meinung. Dazu habe ich die ersten Jahre mein Hauptfokus auf die weibliche Sexualität gehabt und sehr viele Frauen auf ihrem Weg zum Orgasmus begleitet.

 

Learnings über den weiblichen Orgasmus aus 9 Jahren Arbeit mit Frauen

Ich hatte vor 9 Jahren auch eine andere Sicht auf die Dinge. Doch ich durfte mit jeder Frau lernen, die zu mir kam. Weshalb ich das gerne mit dir teile. Denn es ist nicht nur überraschend gewesen, sondern es hat meine Sichtweise auf die Art, wie wir Sex haben, sehr verändert. Im Übrigen hat es auch die Art verändert, wie ich Menschen berate. Denn nichts ist in meinen Augen schräger, als gleich zu bleiben, wenn man doch mehr weiß.

Also los.

 

1. Die wenigsten Frauen haben GAR keine Orgasmen

Wenn mich früher Frauen aufsuchten, die angaben keine Orgasmen haben zu können, habe ich gedacht, sie hätten GAR KEINE Orgasmen. Damals habe ich ein Orgasmustraining entwickelt, das genau darauf konzipiert war. Doch in den allermeisten Fällen stimmte das nicht. Die Mehrzahl der Frauen kommt irgendwie. Mit sich alleine, durch orale Stimulation, mit Finger, mit Vibratoren oder andere nette Spielzeuge. Und ja, es gibt einige, die auch durch Penetration zum Orgasmus kommen. 

Aber die meisten, die mit dem Orgasmus Probleme haben, hatten diese beim Sex mit dem Partner. 

Deshalb ist meine erste Frage, wenn Frau Orgasmusprobleme beschreibt: "Alleine oder mit jemand anderem?"

 

2. Zeit ist ein Faktor

Das nächste, was ich gelernt habe, ist, dass die meisten Frauen alleine viel schneller kommen, als mit jemand anderem. Denn alleine fokussieren sie sich auf sich. PUNKT. Außerdem sitzt jeder Handgriff, der Körper weiß schon, was er zu tun hat, um sich diesem süßen Rausch zu bescheren.

 

Beim Sex mit jemand anderem sitzt vielen Frauen die Zeit im Nacken: 

  • Es darf nicht zu lange dauern.
  • Wenn man selbst ein langes "Vorspiel" braucht, hat er schon keine Lust mehr.
  • Wenn er drin ist, ist die Zeit eh schon angezählt.

Natürlich gibt es Ausnahmen. Doch hier eine wichtige Lesson learnt: Mit einer andern Person muss man sich immer irgendwie eingrooven und braucht Zeit, bis man sich wirklich auf den Sex konzentrieren kann. Das ist okay. Und es ist auch okay, wenn man nicht nur 2 Sekunden, sondern 15 Minuten verwöhnt werden will, bis es anfängt zu kribbeln. You know, what I mean...

 

3. Gesunder Egoismus - oder der Fokus auf deinen Genuss

Das bringt mich auch zum nächsten Learning: Der Fokus muss passen, dass es geht. 

Viele Frauen haben das Gefühl, dass sie eine Performance bringen müssen und ihren Partner befriedigen sollen. Und klar, es geht schon beim Sex bei beide. Doch wenn es dir schwer fällt, beim Sex zum Orgasmus zu kommen, dann geht es nicht anders, als dass du dich sehr viel auf dich selbst fokussierst - und zwar auf deine körperliche Lust. Aber manchmal eben auch auf dein Kopfkino. 

 

4. Die Vorstellung, dass Kopfkino "schlecht" ist

Manche Frauen kommen leichter, wenn sie ihr Kopfkino beim Sex anwerfen. Doch das untersagen sich manche, weil sie dann das Gefühl haben, nicht mehr beim Partner zu sein, ihn zu hintergehen oder schlicht, weil es sich für sie falsch anfühlt. 

Ja, ich verstehe es, wenn du lieber rein über das, was ihr miteinander tut, zum Orgasmus kommst. Sich das Kopfkino zu verbieten, frustriert dich auf Dauer. Auch das kann Orgasmusprobleme erzeugen. 

Das, was ich gelernt habe, ist, dass es eine echte Befreiung sein kann, das Kopfkino anzustellen. Denn es kann dir die nötige sexuelle Stimmung geben, die du für deinen Spaß brauchst. Manche Frauen lernen sogar, das, was sie körperlich empfinden, zu erotisieren. Also. GO FOR IT!

 

5. die Vorstellung, nur Penetration ist "Richtiger" Sex

Jetzt komme ich zu dem größten und wichtigsten Learning in den 9 Jahren. Früher dachte ich, jede Frau kann über Penetrationssex zum Orgasmus kommen - oder jede kann es lernen. Doch das ist einfach nicht wahr!

 

Das hat mich auch sehr genervt an diesem quarks.de Beitrag: Der Penetrationssex wurde als "Maß der Dinge" angesehen. Und das ist er - mit Verlaub - nicht! Penetrationssex funktioniert für einige Frauen und für die überwiegende Mehrheit der Männer. Aber er funktioniert für die Mehrheit der Frauen einfach nicht!

 

Wie häufig hörte ich (und höre ich immer noch), dass Frauen endlich mit "richtigem" Sex zum Orgasmus kommen wollen. Oder dass lesbische Frauen ja gar keinen "richtigen" Sex hätten. Oder dass Frauen, die unter Vaginismus leiden, ja keinen "richtigen" Sex liefern können (obwohl sie über die Klitoris kommen können).

 

Manchmal bin ich enttäuscht, wie Sex abgewertet wird, nur weil der Penis nicht wirklich ein Zauberstab ist (auch wenn Penisse per se toll sind). 

 

Liebe lesende Person: Jede Form von erotischer und sexueller Intimität ist Sex.

 

Ganz egal, ob es mit Fingern, Zunge, Spielzeug, Kissen, Duschkopf, Oberschenkel oder Penis passiert. 

 

6. Eine Huldigung der KLitoris

Damit komme ich zum letzten Learning: Die Klitoris ist einfach wunderbar - und sie liegt einfach nicht IN der Vagina, sondern leicht zugänglich auf der Vulva (schaut euch gute Anatomiebilder an. Ich schreibe mal einen Beitrag mit guten Büchern).

 

Vielleicht hat der eine oder die andere noch Freuds quacksalberisches Bild im Kopf, dass der "vaginale" Orgasmus der "reife" Orgasmus sein sollte und der klitorale der eines Mädchens. Bitte: Schmeißt diese Idee in die Tonne! Auch wenn Freud ein Pionier in der Psychotherapie war, hat er keine wirklich guten sexuellen Theorien hervorgebracht, die heutzutage nicht widerlegt wären.

 

Wenn du also über deine Klitoris zum Orgasmus kommen kannst, dann tu es, so oft du magst. Zeig deinen Mit-Sex-Habenden, wie es bei dir geht. Bitte ihn oder sie darum, deine Perle so zu verwöhnen, dass du in Verzückung gerätst. Aber versuche nicht, dich zu zwingen, endlich über deine Vagina zum Orgasmus zu kommen. Das kannst du machen, wenn du sehr viel Priorität darauf legen möchtest, viel Zeit und keine anderen Hobbys hast. (Geht schon, braucht aber viel Energie).

 

Nicht jedes Orgasmusproblem ist ein Orgasmusproblem

Natürlich gibt es auch Frauen (und Männer), die wirklich keine Orgasmen bekommen. Oder wo es mehr Probleme gibt, als die beschriebenen. Die brauchen dann auch wirklich einfühlsame und professionelle Abklärung und Begleitung. 

 

Ja, es kann sich lohnen, wenn du in einem Gespräch abklärst, woran es bei dir liegt. Und manchmal wirst du dich nur von Vorstellungen verabschieden dürfen, manchmal brauchst du etwas anderes.

 

Aber meine Bitte ist: Lass dir nicht ein Problem einreden, wenn es lediglich um einen "Anwendungsfehler" handelt. Das erspart dir viel Leid und hilft deinem Gegenüber dabei, sich zum besseren Liebhaber zu entwickeln.

 

In diesem Sinne: Enjoy your clit!