· 

Ist meine Beziehung toxisch? Was toxische Beziehungen von unglücklichen unterscheidet

Wenn Beziehung toxisch wird
Foto von Kelly Sikkema auf Unsplash

Die allermeisten Menschen haben bereits von toxischen Beziehungen gehört.

 

Doch was ist das eigentlich genau?

Wie unterscheiden sich toxische von unglücklichen Beziehungen und vor allem, was sind Anzeichen dafür, dass du dich in einer toxischen Beziehung befindest?

 

Das sind die Fragen, die dieser Beitrag beantworten soll.


Was ist eine toxische Beziehung?

Die Frage lässt sich gar nicht so leicht beantworten. Denn wissenschaftlich wird dieses Phänomen leider (noch) nicht besprochen. Demnach gibt es viele unterschiedliche Auffassungen davon, was toxische Beziehungen sind.

Während die einen alle Beziehungen als toxisch bezeichnen, in denen sich beide Parteien nicht guttun, gibt es andere, die eine klare Täter*in-Opfer-Struktur als Merkmal bezeichnen.

 

Worin sich jedoch alle einig sind, ist, dass jede Beziehung toxisch sein kann: Eltern-Kind, Freunde, Chef*in-Angestellte*r, Kollegen und auch zwischen Liebespaaren. Und es trifft Männer wie Frauen ungefähr gleich häufig!

 

Aus meiner psychologischen Perspektive halte ich die Arbeitshypothese mit der Täter*in-Opfer-Struktur für sinnvoller. Demnach baut sich der Artikel auch so auf. Die Gründe dafür liefere ich dir gerne am Ende des Beitrags. Nun aber zu den praktischeren Dingen.

 

Toxisch oder unglücklich? Merkmale zur Einordnung

Wie du dir vielleicht denken kannst, mache ich einen Unterschied zwischen unglücklichen und toxischen Beziehungen. Beide fühlen sich belastend an. Die Auswirkungen können in beiden Fällen einschneidend sein. Doch nicht jede unglückliche Beziehung ist toxisch. Allerdings ist jede toxische Beziehung eine unglückliche. 

 

Um die Unterschiede besser greifbar zu machen, möchte ich dir erst einmal die Basislinie einer gesunden/glücklichen Beziehung kurz und knapp zusammenfassen:

  • Sie basieren auf gegenseitigem Respekt.
  • Es gibt gegenseitige Fürsorge (neben der Fürsorge für sich).
  • Beide haben Empathie füreinander - wobei hier die Fähigkeit UND die Bereitschaft gemeint ist, sich in den anderen hineinzuversetzen und die Situation des anderen nachzuvollziehen.

An der Stelle möchte ich betonen, dass es in jeder Beziehung völlig normal ist, dass Konflikte und das Ringen um die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse vorkommen. 

 

Jede Beziehung, die anfangs oder auch über Jahre glücklich war, kann sich zu einer unglücklichen Beziehung entwickeln. Bei toxischen Beziehungen kommen die Schattenseiten meist schon wesentlich früher zum Vorschein. 

 

Merkmale Toxischer Beziehungen

  • Manipulationsversuche auf unterschiedlichen Ebenen
  • anfangs ist alles schön, doch recht schnell kommt es zu Streits, teilweise über scheinbar banale Themen
  • krankhafte Eifersucht
  • Kontrollversuche
  • Doppelte Botschaften, z.B. über Nicht-Komplimente (sprich: Komplimente, die mit Gemeinheiten gespickt sind)
  • Verdrehen von Tatsachen (Gaslighting)
  • Erpressungen
  • Emotionale und/oder körperliche Gewalt
  • der toxische Partner benötigt über die Maße Anerkennung durch den nicht-toxischen Partner
  • es gibt eine klare Täter*innen-Opfer-Struktur

 

Merkmale unglücklicher Beziehungen

  • die meisten Merkmale der toxischen Beziehung lassen sich auch in unglücklichen Beziehungen finden. Allerdings ist die Intensität durchaus geringer 
  • meistens sind beide unzufrieden
  • beide fühlen sich oft hilflos bei sich wiederholenden Mustern, bspw. wenn es immer wieder ein Thema gibt, über das Streit ausbricht.
  • oft gibt es gegenseitige Schuldzuweisungen
  • die Kommunikation zwischen den Partnern ist gestört - man versteht sich nicht, Interpretationen des Gesagten ersetzen die Worte und vieles mehr
  • man hat sich auseinander gelebt
  • man fühlt sich entfremdet
  • die Personen sind so verschieden, dass sie sich einfach nicht leicht verstehen.

Die Unterschiede

Unglückliche Beziehungen sind meist eine Folge mangelnder oder misslungener Kommunikation, grundsätzlicher Nicht-Passung, die Auseinanderentwicklung der Personen oder nicht bereinigter Konflikte. Es fühlen sich meist beide nicht wohl. Manchmal fühlt sich auch nur einer nicht wohl, der oder die das Gefühl hat, sich ständig anpassen zu müssen. Ob das nun tatsächlich erforderlich ist oder nicht.

 

Bei toxischen Beziehungen sind die Streits und anderen Merkmale ungleich intensiver. Die Anfangsphase ist meist noch schön, dann beginnen aber häufig schon bald Streits, Abwertungen und Drohungen durch den toxischen Partner. Meistens sind die Attacken auf den nicht toxischen Part nicht vorhersehbar. Genauso unvorhersehbar sind dann Situationen, in denen der toxische Part fröhlich und glücklich ist.  

Foto von RODNAE Productions von Pexels
Foto von RODNAE Productions von Pexels

Die meisten nicht-toxischen Parts zweifeln über die Zeit immer mehr an ihrer eigenen Wahrnehmung. Er oder sie passt sich an ohne dafür wirklich etwas zurück zu bekommen. Die Beziehung richtet sich auf den toxischen Part aus, der über fehlende Empathie, Kränkung und auch grenzverletzendes Verhalten die Beziehung dominiert. Ohne Beendigung der Beziehung oder Hilfe etabliert sich meist eine toxische Spirale, die für den nicht-toxischen Part immer Selbstwert bedrohlicher wird.

 

Wie kommt man aus einer toxischen Beziehung heraus?

Meistens ist das gar nicht so einfach. Denn zunächst muss man selbst verstehen, dass die Beziehung die Ursache für die unsicheren Gefühle ist. Die meisten Betroffenen sind über die Zeit der Beziehung in eine emotionale Abhängigkeit geraten. In sehr heftigen Fällen sind die Betroffenen isoliert von ehemalig engen Bezugspersonen. 


Wenn du merkst, dass die Beziehung, in der du bist, dich sehr belastet, die andere Person dir gar Angst macht oder du das Gefühl hast, ohne die andere Person geht nichts mehr, beginne wieder Kontakte aufzubauen.


Vertraue dich Freunden oder Familie an. Sprich mit anderen über deine Situation. Auch Beratung oder Telefonseelsorge kann ein erster Schritt aus der Isolation sein. Wahrscheinlich haben Freunde oder Familie dich eh schon darauf angesprochen, dass du dich verändert hast. Die Gespräche mit anderen helfen dir dabei, deine Wahrnehmung zu bestärken. Denn häufig zweifeln Betroffene an dieser.
Manche Betroffenen beschreiben es zunächst so, als würden sie den anderen verraten, wenn sie mit anderen über die eigene Beziehung sprechen. Doch schon das allein kann ein Zeichen sein, dass es sehr sinnvoll sein kann, mit anderen darüber zu reden. 

 

Eigene Ziele zu definieren und herauszufinden, woran du dich freuen würdest, können auch Schritte sein, den Fokus wieder mehr von der anderen Person auf dich zu legen. Denn in toxischen Beziehungen fokussieren sich Betroffene sehr auf den anderen und vernachlässigen eigene Bedürfnisse häufig sehr. 

 

Die Schritte aus dieser Beziehung sind immer individuell. Schließlich sind auch Erpressungsversuche ("Wenn du gehst, bringe ich mich um") oder körperliche Gewalt oft ein Thema in toxischen Beziehungen. Aus diesem Grund ist es besonders wichtig, verlässliche Kontakte außerhalb der Beziehung wieder zu aktivieren oder aufzubauen. Ohne Unterstützung geht es nämlich selten.

 

Was tun, wenn du jemanden in einer toxischen Beziehung vermutest?

Wenn du nicht betroffen bist und jemanden kennst, der oder die sich sehr verändert hat in der Beziehung, dann kannst du helfen, indem du als Kontakt erhalten bleibst.

 

Wahrscheinlich merkst du Veränderungen an der Person:

  • Auch wenn ihr euch trefft, schaut er/sie ständig aufs Handy und muss sich melden.
  • Du triffst ihn/sie nicht mehr alleine.
  • Er/sie erzählt von der Eifersucht des anderen.
  • Sie/er telefoniert nur noch, wenn der andere nicht mehr da ist.
  • Er/sie zieht sich immer mehr zurück.

Was es auch immer sein mag, sprich es an und hör zu. Dränge nicht darauf, die Beziehung zu beenden. Stelle lieber Fragen wie: "Tut er/sie dir gut?" oder "Wie geht es dir damit, dass du immer auf dein Telefon schauen musst?"

 

Auch wenn es lange dauert, reagiere nicht beleidigt, wenn sich der/die andere erst nach sehr langer Zeit des Kontaktabbruchs meldet und den Kontakt aufbauen mag

Und auch du kannst dir Hilfe holen.

 

Toxische Beziehungen - wieso wir sparsam mit dem Begriff umgehen sollten

Zu guter Letzt mag ich dir noch kurz meine Gründe für die Annahme nennen, weshalb ich den Begriff "toxische Beziehung" lieber im Rahmen einer klaren Täter*innen-Opfer-Struktur verwende.

  1. Wenn man jeder Beziehung, in der die Dinge nicht so rund laufen als "toxisch" bezeichnen, macht das was mit uns selbst und auch mit der Beziehung. Denn meistens löst das keine Lösungsfindung aus, sondern stempelt eine Beziehung als unveränderlich zerstörerisch ab
  2. Meistens wird der vermeintlich toxischen Person auch noch eine Persönlichkeitsstörung angedichtet. Das ist gravierend und trifft in sehr vielen Fällen schlicht nicht zu. In der Definition mit der Täter*innen-Opfer-Struktur sind tatsächlich häufiger Menschen mit Persönlichkeitsstörungen zu finden. Diese Beziehungen laufen meistens dann auch entsprechend destruktiv. Doch auch da rate ich dringend ab vor der Dämonisierung und den Krankheitslabeln. 
  3. Wenn alles eine toxische Beziehung ist, was nicht so dolle ist, verharmlosen wir das Leid der Menschen, die tatsächlich in diesen zerstörerischen Beziehungen sind. 
  4. Die Hilfestellung unterscheidet sich zwischen unglücklichen und toxischen Beziehungen unter den meisten Umständen gravierend. 

Ich finde, du darfst dich von Menschen trennen (egal, ob Partner*in, Freund*in oder andere Personen), die dir nicht gut tun. Das braucht auch nicht immer eine Begründung. Du musst dafür niemanden als toxisch bezeichnen. Denn wir sind alle in manchen Situationen toxisch. Du darfst einfach ein Schlussstrich ziehen und bist niemand eine Rechenschaft schuldig.