Ich bin mir sicher, dass du dich schon mindestens einmal geschämt hast.
Das sind die Momente, in denen ich persönlich am liebsten im Boden versinken würde und hoffe, dass keiner merkt, was in mir vorgeht. Aber das gelingt dann meist auch nur so mittelmäßig. Ich gehöre zwar nicht zu den Leuten, die sehr schnell rot werden, aber trotzdem sieht man es mir an, weil meine Bewegungen entweder fahrig werden oder ich mit dem Blick ausweiche.
In den Momenten ist es für mich kurzzeitig auch echt schlimm, wenn ich dann aber bemerke, dass ich mich schäme, ist das unangenehme Gefühl auch schnell wieder vorbei.
Wie ich das mache, erzähle ich dir heute.
Dazu hole ich ein bisschen aus. Weil es dir nicht viel hilft, wenn ich beschreibe, dass ich mir dann innerlich nur sage: „Okay, ertappt. Was solls?“ Tief durchatme und weiter mache.
Schließlich sind die anderen Leute nicht auf einmal weg oder das, was geschehen ist, ist auch nicht ungeschehen gemacht.
Aber ich habe verstanden, wieso wir uns schämen.
Scham ist ein Gemeinschaftsgefühl
Vielleicht ist dir schon aufgefallen, dass du dich nicht schämst, wenn du alleine bist. Wenn ich alleine bin, dann ist es mir egal, ob ich meine Haare gekämmt habe oder nicht. Wenn ich jedoch raus gehe, dann kann es mir peinlich werden, wenn ich ungekämmt bin. Zumindest dann, wenn es mir wichtig ist, dass ich gekämmt bin, beispielsweise, wenn ich unerwartet an der Kasse einen wichtigen Geschäftspartner sehe.
Das ist jetzt verhältnismäßig harmlos für mich. Doch in der ersten Folge habe ich erzählt, dass ich mich Zeitweise für mein eigenes Liebesleben geschämt habe. Das war alles andere als harmlos.
Ich schämte mich aus zwei Gründen:
- Stand ich nicht mit Überzeugung hinter dem, was ich so trieb
- Dachte ich, dass „man“ sowas nicht macht.
Hinter diesen zwei Gründen verstecken sich die wichtigsten Faktoren, wieso wir uns immer wieder schämen.
Was ist Scham?
Schauen wir beide uns jetzt erst einmal an, was Scham überhaupt ist:
Scham ist im Prinzip die Sprache des Gewissens. Wir schämen uns nur, wenn jemand anderes dabei ist, der uns beurteilen kann UND wenn wir glauben, dass wir anders handeln oder fühlen als wir „eigentlich“ sollten.
Dieses „eigentlich“ sollten wir auch noch genauer betrachten. Das Eigentlich ist das, was wir glauben, was andere von uns erwarten. Das heißt, wir schämen uns nur, wenn wir glauben, dass wir uns nicht richtig fühlen oder handeln.
Scham ist also ein Gefühl, dass rational gesehen, ein Resultat aus dem inneren Abgleich zwischen Normen und Werten, die wir verinnerlicht haben und unseren Empfindungen und Verhalten, die nicht den Normen entsprechen.
Also war mir mein Sexleben früher so peinlich, weil ich dachte, ich mache etwas Falsches, weil in meiner bisherigen Umgebung diese Form der Sexualität nie Thema war.
Wenn du also merkst, dass du dich schämst, dann hat dein innerer Wächter bereits deine Werte und Normen mit deinen Handlungen abgeglichen und sagt: „Äh, so ist das jetzt aber nicht okay.“
Welchen Sinn hat Scham?
Welchen Sinn Scham hat, kann man jedoch nur verstehen, wenn wir wissen, wieso es so wichtig ist zu wissen, dass man etwas falsch macht.
Wir Menschen sind von Natur aus Rudeltiere. Da wir sehr unfertig und nicht überlebensfähig auf die Welt kommen, müssen wir uns das Sozialverhalten erst aneignen. Wir passen uns damit an die Gruppe Menschen an, die für unser Überleben sorgt. Das ist in der Regel die Familie, die Kinder im Kindergarten und der Schule und die Erzieher und Lehrer. Das Anpassen ist für unser Leben vor allem bis zum ca 14. Lebensjahr enorm wichtig. Erst dann wären wir in der Lage, für uns selbst zu sorgen, weshalb Menschen erst dann so richtig ihre eigenen Wege beschreiten.
Scham ist also ein sehr wichtiges Gefühl für das Funktionieren einer Gruppe. Benehmen wir uns daneben, kommt sofort die Retourkutsche und wir schämen uns und werden nie wieder das gleiche blöde Verhalten zeigen. Damit fühlen wir uns dann wieder wohl in der Gruppe.
Was jedoch, wenn Scham uns am Genuss hindert?
Scham als Emotion ist demnach weder gut noch schlecht. Sie ist nur ein Spiegel unserer Werte und Meinungen, die wir unbewusst oder bewusst in uns tragen. Sie ist ein gutes Feedback zu früher gelernten Verhaltensrichtlinien.
Kommen wir nochmal auf meine Scham von früher. Ich habe mich also geschämt. Und wieso? Weil ich nie gelernt habe, dass man Sex nicht nur auf eine Art haben kann, die Spaß macht. Ich hatte also nur eine Idee davon, was man unter Sex versteht und alles andere war in Anführungszeichen nicht normal.
Natürlich konnte ich nichts dafür, dass ich das so beurteilt habe. Und auch du kannst nichts dafür, was du durch deine frühe Erziehung und deine Umwelt gelernt hast. Schließlich suchen wir uns nur bedingt aus, mit wem wir uns in den ersten 15 Lebensjahren umgeben.
Aber ich hatte die Möglichkeit, darüber nachzudenken, was ich mag und was mir keinen Spaß macht. Das ist nämlich ein ganz wichtiger Punkt: Wenn du weißt, was dir Spaß macht, traust du dich eher, zu deinen Gefühlen zu stehen und die Scham auszuhalten, als wenn du das nicht weißt. Zugegeben, das hab ich damals vor 14 Jahren nicht hinbekommen. Ich wusste jedoch auch nicht, dass ich mich schäme und ich wusste auch nicht, dass ich etwas an diesem Gefühl ändern kann.
Wie veränderst du das, worüber du dich schämst?
Also was kannst du tun, wenn dir Schamgefühle immer wieder in die Quere kommen, denn du dich und deine Sexualität genießen möchtest?
- Bemerke, dass du dich schämst. Erst dann kannst du etwas verändern. Das merkst du zum Beispiel daran, dass du einem bestimmten Thema oder einer bestimmten Sexualpraxis immer wieder aus dem Weg gehst. Oder wenn du nicht über das Thema sprechen magst. Im Übrigen lässt sich das auf jeden anderen Bereich deines Lebens übertragen.
- Wenn du das Schamgefühl bemerkst, frage dich, wofür du dich eigentlich schämst. Warum schämst du dich denn? Und woher kommt die Scham?
Das zu ergründen ist ein Prozess. Und der Prozess kann ein bisschen Zeit in Anspruch nehmen. Ich habe mich 7 Jahre geschämt für mein Liebesleben mit meinem ersten Partner. Dann erst wurde mir klar, dass ich mich geschämt habe. Und dann war mir auch klar, wieso.Wenn du also weißt, wieso du dich schämst, - dann beobachte deine Scham, während du
- Herausfindest, was dir Spaß macht.
Beobachten ist wichtig
Das Beobachten ist immer ganz wichtig, weil sich Normen und Werte, die wir unreflektiert übernommen haben, nicht so schnell verändern. Wenn du jedoch immer mehr feststellst, dass es dir gut geht, weil du immer besser weißt, was dir gut tut, dann wirst du feststellen, dass sich auch deine Werte verändern können und du dich immer weniger für deine Gedanken und Vorlieben schämst.
Außerdem kann es helfen, wenn du dich mit anderen Menschen über deine Gedanken unterhältst. Probiere es eher mit Leuten aus, bei denen du Ablehnung nicht so wichtig nimmst. Das schützt dich davor, dich nicht allzu bloß gestellt zu fühlen. Das trainiert dein Umgang mit Scham, bis du irgendwann in der Lage bist zu denken: „Naja, das war jetzt zwar peinlich, aber was solls?“
Und noch einen Trick, wie du mit Scham umgehen kannst: Wenn du ganz offen zugibst, dass es dir peinlich ist, dann reagieren dir wohlgesonnene Menschen mit viel Empathie und Mitgefühl. Stell es dir doch selbst einmal vor: Wie würdest du reagieren, wenn deine beste Freundin sagt: „Hey, mir ist das total peinlich, aber ich hab mal eine Frage…“ Und falls du niemand neutralen in deinem Freundeskreis hast, helfe ich dir auch gerne dabei, deine Scham zu reflektieren.
Zusammenfassung
Zusammengefasst kannst du mitnehmen, dass
- Scham nur ein emotionales Feedback ist auf das, was im Moment laut deinem aktuellen Wertesystem nicht richtig läuft.
- Hilft dir Scham dabei, deine Grenzen und Fehler oder Schwächen zu erkennen.
- Wenn du dich mit deinem Schamgefühl auseinander setzt, hilft Scham dir dabei, dich selbst besser kennen zu lernen, dich anzunehmen und Selbstliebe zu entwickeln.
- Scham hilft dir dabei, dich in einer Gruppe zu bewegen und einzugliedern.
- Sie hilft dir dabei, um Verzeihung zu bitten, wenn du dich daneben benimmst.
Ich möchte dich ermutigen, dich nicht von deiner Scham abhalten zu lassen, sondern mit deiner Scham gemeinsam herauszufinden, was du für ein erfülltes Liebesleben brauchst.
Finde heraus, was für DICH zählt und richtig ist und befreie dich durch das Feedback der Scham von alten gelernten Mustern. Damit erschaffst du einen Liebesraum für dich!
Viel Lust und Mut!
Deine Claudia