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Das Image der starken Frau

Die Maske der starken Frau
Bild: by Kellepics www.pixabay.com

Dieser Artikel beschäftigt sich mit dem Thema "Image". Und zwar bin ich bei der Recherche und bei den Interviews zu meinem aktuellen Buch immer wieder auf das "Image-Problem" gestoßen, mit dem sich viele Menschen herumplagen. 

 

Ja, Image ist nicht nur auf das Thema Sexualität beschränkt. Ganz und gar nicht. Und ich beleuchte in diesem Artikel das Thema Image kritisch und zwar auf mehreren Ebenen. 

 

Was ist das persönliche Image, welche Images (oder Stereotype) existieren in der Gesellschaft und wo sind die Risiken und Chancen hierin.

"Ich wollte das Image der starken Frau"

Für mein Buch suchte ich Frauen und Männer, die sexuelle Grenzverletzungen oder auch "Missbrauch" erlebt haben, um sie zu interviewen. Was mir während der Interviews immer wieder auffiel, ist, dass es in der Geschichte dieser Menschen immer eine Phase gab, die aus reiner "Imagepflege" bestand. Eine Frau sagte wörtlich:

 

"Ich wollte das Image der starken Frau. Das Bild, das ich von missbrauchten Menschen hatte, passte einfach nicht zu mir."

 

Image - Fluch und Segen

Für diese Frau - wie für viele andere Menschen auch - ist das Image, das sie verkörpern wollen, etwas ganz wichtiges, um stabil im Alltag funktionieren zu können. 

 

Dieses Image rettet Menschen über unangenehmes, schmerzhaftes, peinliches und gibt ihnen die Chance, sich und alles, was scheinbar nicht okay ist, zu verstecken.

 

Auf der anderen Seite investiert man in dieses Image unglaublich viel Energie. Schließlich ist alles, was man tut, damit verknüpft und Inkonsistenzen können nicht zugelassen werden. Sonst sehen die anderen ja, dass da etwas nicht stimmt.

Das Image der starken Frau

Viele kluge Frauen investieren einen großen Anteil ihrer Energie, um eine möglichst starke Frau zu präsentieren. Was bedeutet das?

 

Starke Frauen sind:

  • emanzipiert
  • unabhängig
  • stark
  • brauchen niemanden
  • können alles immer selbst
  • emotional immer ausgeglichen
  • immer in Top-form
  • perfekt organisiert
  • super Mütter
  • Top-Managerinnen
  • fantasievolle Liebhaberinnen
  • unverletzlich
  • unnahbar
  • hart

 

Die Liste entspringt nicht meiner Fantasie. Sie stammt aus den Interviews, die ich geführt habe. Ganz wichtig ist dabei, dass es sich hier um ein "Anforderungsprofil" für eine starke Frau handelt. Also nur ein Image. 

 

Zu viel zu perfekt

Stark und unverletzbar
Bild: www.pixabay.com

Was steckt hinter dieser Liste, die bei genauerer Betrachtung pure Überforderung bedeutet?

 

Häufig (nicht immer) stecken ganz persönliche Schicksale hinter diesen harten Anforderungen. Meistens sind sie eine Überkompensation zu dem, was tatsächlich ist. 

 

Um das verständlich auszudrücken an einem Beispiel: Alle Frauen, die ich interviewt habe, haben mindestens eine schlimme Grenzverletzung oder ein sexueller Machtmissbrauch durchlebt. Ausnahmslos alle Frauen konnten und wollten sich direkt danach nicht mit dem Image der "missbrauchten Frau" identifizieren, wie es in den Köpfen der Menschen verbreitet ist.

 

 

Das Bild hat nämlich nur Platz für Frauen, die danach nur noch lethargisch im Bett liegen, weinen, sich auflösen, hysterisch reagieren und ganz schlimm verstört sind. Diese Reaktion auf solche Misshandlungen gibt es. Doch das ist nicht die einzige Möglichkeit, wie solche Erlebnisse verarbeitet werden.

Welches Image ist besser?

Wieso jedoch die Frauen so viel Energie in ihr starke-Frauen Image stecken, ist damit noch nicht erklärt.

 

Ein Image ist immer mit Erwartungen, Emotionen und Zuschreibungen von Fähigkeiten und Charaktereigenschaften verbunden.

 

Das Image einer missbrauchten Person ist gesellschaftlich alles andere als angesehen. Meist beinhaltet es Schwäche, erzeugt Mitleid und Unsicherheit, führt zu Zuschreibungen wie "instabil" oder "traumatisiert". Die Person wird häufig auf dieses Ereignis reduziert.

 

All jene Frauen, die sich so sehr um das vorhin beschriebene Image der starken Frau bemüht haben, wollten genau diese Zuschreibungen nicht ernten. Denn sie stimmten nicht. 

Risiken der Imagepflege

Es bedeutete einen immensen Kraftakt für jede interviewte Frau, dieses Image aufrecht zu erhalten, weshalb sie diese Kraft nicht für die eigene Heilung verwenden konnten. Das geschah dann langsam, meist relativ alleine (nie ganz, aber eben weniger unterstützt als es möglich gewesen wäre) und verhältnismäßig aufwendig.

 

Diese Frauen sind alles andere als schwach, obwohl sie sehr verletzt wurden. Ja, Verletzungen brauchen die entsprechende Versorgung, um heilen zu können. Doch dann ist es wieder okay. Das ist ähnlich wie bei einem Knochenbruch: Der Knochen wächst zusammen und verstärkt sich an der Bruchstelle ein bisschen, um einem erneuten Bruch vorzubeugen.

 

Diese Frauen sind stark, auch wenn sie mittlerweile dem Image der starken Frau nicht mehr so entsprechen, wie es beschrieben wurde.

 

Resumée

Was ich damit auf drastische Weise verdeutlichen will: Images haben einen Nutzen und sie haben Grenzen.

 

Im Normalfall bilden sich maximal einen Teil der Wirklichkeit ab. Im Zweifel verhindern sie, dass Heilung, Unterstützung oder Zuwendung geschehen kann.

Häufig verstärken sie das negative Selbstbild und verstärken dadurch die Abwertung unseres Selbst und die Trennung von anderen Menschen. Denn wenn wir uns hinter Images verstecken, dürfen wir niemanden an uns heran lassen. Sonst sähen andere ja, wie wir wirklich sind - hinter dieser schönen Maske, die wir so hingebungsvoll pflegen.

 

Ich wünsche uns allen mehr Mut, wir selbst zu sein. Dazu ist es hilfreich eine gewisse Sensibilität gegenüber unserer menschlichen Neigung, Images zu kreieren und sie als wahr zu interpretieren, zu entwickeln und diese zu hinterfragen!

 

Dann kann Nähe und Kontakt gelingen. Dann kann nährende Sexualität ohne vortäuschen geschehen. Dann sind Ent-täuschungen nicht mehr nötig.

Dann darf sich jeder gut fühlen, wie er ist und bekommt Hilfe, weil er darum fragen darf. Dann können wir uns frei begegnen.

 

Wäre das nicht schön?

 

Alles Liebe!

Claudia

 

 

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